Ich habe schon mal erwähnt, dass ich eine fotografische Mitstreiterin gefunden habe.
Ich darf vorstellen:
Mai Quynh.
Auf ihrer Seite mai|pen|quynh stellt sie sich und ihr Projekt vor.
Zu Jahresbeginn hat Mai Quynh kurzfristig beschlossen, ein 365-Tage-Fotoprojekt zu starten. Sie fotografiert auch gerne analog und verpflichtet sich nicht täglich aktuell zu posten.
Weiterhin präsentiert sie ganz unaufgeregt großartige Bilder. Einige dieser Bilder darf ich in diesem Beitrag zeigen.
Das Ganze spricht mich so sehr an, dass ich Mai Quynh gefragt habe, ob ich ein Interview mit ihr machen darf. Und ich durfte.
Herzlichen Dank dafür und ein herzliches Dankeschön für die Möglichkeit, das alles auf meinem Blog zu veröffentlichen.
Aber nun lest selbst.

Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Als Jugendliche hatte ich die Digitalkamera meiner Eltern zur Verfügung und diese genutzt, um Fotos von Freundinnen auf Schulreisen zu machen. Und dann habe ich mich neben diesen Erinnerungsfotos auch an künstlerischen Aspekten ausprobiert. Mit dem Internet gab es Möglichkeiten, sich zu präsentieren und andere zu sehen. Und das müsste der Beginn der Fotografie in meinem Leben gewesen sein.
„Ernsthafter“ eingestiegen bin ich aber durch die analoge Fotografie, die nochmal mehr dieses Künstlerische hat, einfach durch die Wirkung eines Films. Zur analogen Fotografie bin ich gekommen, weil ich irgendwann keine Lust mehr auf die Einwegkameras hatte.
Was bedeutet Fotografie für dich heute?
Fotografie ist für mich ein Mittel, Dinge im Leben zu sehen. Sehenswertes und Schönes festzuhalten. Fotografieren ist ein Impuls.
Ich habe schon mal überlegt, die Fotografie aufzugeben, weil ich mich gefragt habe, warum ich überhaupt fotografiere und irgendwie keine zufriedenstellende Antwort fand. Mit diesem Gedanken ließ ich die Kamera zuhause und habe sie vermisst, sobald ich unterwegs war. Fotografie ist stets da und Teil meines Lebens.

Wie kam es zur Entscheidung, ein 365-Tage-Projekt zu starten?
Ich fand es schon immer beeindruckend bei anderen. Dass ich es mache, war eine sehr spontane Idee. Am Anfang des frischen Jahres war ohnehin der Wunsch da, mehr zu fotografieren.
Ich habe die Podcastfolge von Falk und Lars gehört und dann war ich überzeugt, dass dieses Projekt irgendwie meinen Wunsch erfüllen würde.
Gibt es Tage, an denen du absolut keine Lust oder keine Idee hattest?
Ja, gibt es. Immer wieder mal. Zeitweise sogar über längere Zeiträume (mehrere Wochen)
5. Wie hast du dich dann motiviert?
Der Gedanke an das Erfolgsgefühl ganz am Ende – fürs Durchhalten, so wenige Tage wie möglich ohne Fotos dazustehen. Und dass es nur gilt, dem Minimalprinzip zu folgen.
Das heißt, irgendwas in akuter Reichweite finden und ein Foto machen, fertig.

Würdest du so ein Projekt weiterempfehlen?
Nur unter Bedingungen. Siehe nächste Frage.
Und wenn ja: mit welchen Tipps?
- Erwartung und Anspruch herunterschrauben, massiv. Minimalprinzip ist: ein Foto machen. Und das so diszipliniert wie möglich – es ist ja „nur“ ein Foto. Ohne inhaltliche oder künstlerische Herausforderung. Wenn das im Fokus steht, dann würde ich eher ein 52-Wochen-Projekt empfehlen.
- Gleichzeitig: nicht streng mit sich zu sein. Das Projekt sollte weitestgehend (nicht immer) mehr Spaß als Bürde sein. Es sollte sich am Leben orientieren, nicht andersherum. Wenn man mal ein Foto vergisst, dann sei es drum. Am nächsten Tag weitermachen. Rechne es mal herunter: Wenn ich 15 Fotos auf 365 Tage vergessen würde, wären das trotzdem nur knapp 4 %, die vergessen wurden. Sicherlich, man sollte die 100 % anstreben, aber gleichzeitig – wozu der Stress.
Später schrieb mir Mai Quynh noch folgendes:
"Mir ist gerade noch etwas eingefallen, was so wichtig ist, das ich es gerne noch hinzufügen möchte."
- Fast vergessen, dabei ist das auch super wichtig: Du machst das Projekt für dich. Das bedeutet für mich beispielsweise: Ich mache das Foto und dann bleibt das erst mal bei mir und poste es so
gut wie nie tagesaktuell, wenn es mal gut läuft, kommt es nach ein paar Tagen ins Netz - wann auch immer ich die Zeit und Muse dafür habe.
Tagesaktuell posten impliziert das Gesehen-Werden durch andere. Das kann ich nachvollziehen, aber damit bekommt das Projekt ein weiteres verbindliches Element, das nicht immer förderlich ist. In meinem Fall hätte mich das im Alltag sehr eingeschränkt.

Du fotografierst analog und digital, warum?
Recht simpler Grund: Weil ich sowohl digitale als auch analoge Kameras habe und ich meine Kameras durchprobieren will, da ich es bisher noch nicht ausreichend gemacht habe.
Welche Kameras oder Objektive nutzt du?
Digital: mein Smartphone (iPhone 13 Mini); die Sony a99 (eine Vollformatkamera)
Analog: zwei Minolta SLRs (Dynax 5 und Dynax 7000i); Point-and-Shoot-Kameras verschiedener Hersteller stehen zur Auswahl, aber da habe ich noch nicht entschieden, welche ich nutzen werde.

Welche Filme nutzt du – und warum?
Ich unterscheide eher zwischen Schwarzweiß und Farbe und orientiere mich an der Jahreszeit und daran, welche ISO dazu passen würde. Also im Winter eher ISO 400, im Sommer ISO 100 bis 200. Die Filme, die ich am häufigsten benutzt habe und daher benennen kann, sind Kodak Gold 200 als Farbfilm und APX 100 als SW-Film. Sonst kenne ich mich mit Filmen nicht gut genug aus, um einen Film wegen seiner Spezifikationen und Wirkung auszuwählen.
Entwickelst du selber?
Nein.
Wer entwickelt deine Farbbilder und wer digitalisiert sie?
Beide Filme, die ich bisher im Rahmen dieses Projektes vollgeschossen habe (SW und Farbe), wurden vom Labor Fotobrell Bonn entwickelt und digitalisiert.
Wann fotografierst du lieber digital und wann lieber analog?
Analog ist eigentlich meine bisherige Wohlfühlzone. Das Digitale hat sich jetzt durch das Projekt vorgearbeitet, und die meisten meiner Projektfotos sind digital.
Analog lieber in der Zeit, in der es viel Licht und Sonne gibt (also ab warmen Frühlingstagen bis warmen Herbsttagen), digital dann für die kälteren Tage.
Mit dem Makroobjektiv bevorzuge ich die Digitalkamera, da ich noch Fokussierungsschwierigkeiten habe – da gilt: mehr ist mehr.

Welche Rolle spielt die Technik für dich?
Ich habe mich in den letzten Jahren ein bisschen mit Technik im Sinne von Equipment beschäftigt, habe mir Kameras und Objektive angeschafft, die ich interessant finde. Und da hört es auf und ist der Startpunkt meines Projekts: Was kann ich damit machen, und wo sind die Grenzen erreicht? Dieses Jahr lerne ich mein Equipment tatsächlich erst kennen. Technik spielt daher im Sinne von Equipment eine untergeordnete Rolle.
Gibt es bestimmte gestalterische Mittel, die du besonders gerne einsetzt?
Ich arbeite hin und wieder mit verschiedenen Ebenen und gerne mit geringer Tiefenschärfe. Die 2/3-Regel wende ich oft an. Ich mag die Augenhöhe-Perspektive sehr gerne (wenn etwas am Boden ist, dann lege ich mich hin) und fotografiere ungern nach oben. Oder ich fotografiere gerade von oben – Flatlay ist etwas, das ich cool finde. Mein Wohlfühlausschnitt ist die 50er-Brennweite oder Nahaufnahme/Makro.
Fotografierst du eher intuitiv oder mit einem konkreten Plan im Kopf?
Ich fotografiere zu 99 % intuitiv, mit Plänen für Fotos habe ich nur wenig Erfahrung.

Was inspiriert dich?
Das Draußensein. Sei es in der Stadt, sei es in der Natur. Es passiert einfach so vieles, was ich wahrnehmen kann: Schönes, Kurioses.
Aber auch die Themen in diversen (Foto-)Projekten (Projekt 52 von Sari; 52-Wochen-Fotochallenge von Norbert) helfen mir, mehr zu sehen. Bestimmte Motive hätte ich so nicht fotografisch festgehalten, hätte es diese „Ankerworte“ nicht gegeben. Fotos, die so entstanden sind und mir gut gefallen, sind etwa das Foto Erinnerungen (siehe oben), das Foto alt (siehe unten) und das Foto Film (unten unter dem Bild Film).
Wie entstehen deine Bildideen?
Wenn ich mal tatsächlich eine Idee habe, die nicht aus dem Moment entsteht, dann waren es bisher eben einer dieser Ankerworte. Ich habe mir dann überlegt, wie ich das umsetzen kann – mit nicht zu viel Aufwand. Am Tag der Umsetzung wird das drapiert, und da achte ich auch mehr auf die Komposition.

Gibt es Fotografinnen, Künstlerinnen oder andere Einflüsse, die dich prägen oder begleiten?
Leider kaum. Ich habe da kaum Zugang bzw. nehme mir selten die Zeit, die Fotos anderer Leute zu analysieren und zu merken, was mir gefällt und was ich selbst ausprobieren würde.

Wie gehst du mit kreativen Durststrecken um?
So gut es geht, akzeptiere ich es. Bin wahrscheinlich trotzdem etwas genervt, aber ich lasse es geschehen und nehme das, was kommt. Dann ist es eben mal die SSD-Festplatte, die ich mir neu gekauft habe.
Deine Fotos wirken oft sehr persönlich und still – wie wichtig ist dir diese leise Erzählweise?
Super interessante Frage. Es ist mir per se nicht wichtig, also ich achte nicht darauf, dass es nichts Lautes sein darf. Die Fotos spiegeln wohl eher mich und meine Art wider. Laut wäre für mich etwa die Street Photography. Das ist ein tolles Genre, aber ich scheue mich davor, Menschen auf der Straße zu fotografieren. Überhaupt, scheue ich mich, Menschen zu fotografieren, auch wenn ich das sehr gerne machen würde! Die leisen Themen und Momente sind meine Wohlfühlzone und daher gibt es viele von ihnen.

Wie wichtig ist dir Feedback – und beeinflusst es deinen Stil?
Bisher habe ich wenig Erfahrung mit Feedback. Und ich habe ehrlich gesagt auch etwas Angst davor. Es fällt mir schwer, jemanden um Feedback zu fragen. Aber von einer engen Freundin, die selbst fotografiert, habe ich gutes Feedback bekommen, und das ist wiederum so schön gewesen. Und es hat mich insofern beeinflusst, so weiterzumachen.
Denkst du beim Fotografieren auch an Serien oder Reihen – oder steht bei dir eher das
Einzelbild im Fokus?
Bei mir steht das Einzelbild im Fokus. Ausgenommen sind Fotos auf Reisen, wo das Reiseziel selbst eine Fotoserie ergibt.
Was hast du durch deine fotografische Arbeit über dich selbst gelernt?
Dass ich die kleinen Dinge sehe und schätze. Ich treibe meine Fotografie an, aber genauso treibt die Fotografie auch mich an. Etwa noch häufiger rauszugehen und zu erkunden oder im Bekannten Unbekanntes zu entdecken.
Wenn du deinem fotografischen Ich von vor fünf Jahren einen Ratschlag geben könntest – wie würde der lauten?
Ich habe oft darüber nachgedacht, was mein Stil nun ist. Was ist mein Genre, wer bin ich, fotografisch gesehen? Mein Tipp an mich wäre daher: Denke weniger über deinen Stil nach und fotografiere einfach. Der Blick liegt schon in dir, du musst ihn nicht suchen und definieren. Deine Fotos werden dich irgendwo hinführen, und das bist dann du – und das ist dein Stil.

Liebe Mai Quynh, ich bedanke mich für die Möglichkeit, dir all die Fragen stellen zu dürfen und auch dafür, dass du mir meine Fragen so offen beantwortet hast. Auch bin ich begeistert von den Fotos, die du mir für das Interview zur Verfügung gestellt hast.
Ich mag dieses Interview sehr und bin mir sicher, dass auch die anderen Leser*innen das so sehen.
Zu finden ist sie hier:
Schaut vorbei - lohnt sich!
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Sari (Freitag, 04 Juli 2025 14:58)
Ich verfolge das bei ihr auch schon das ganze Jahr über und liebe es, wie sie Alltägliches immer wieder so schön Stimmungsvoll einfängt.
Jürgen (Freitag, 04 Juli 2025 15:14)
Hallo Sari, du hast recht.
Dafür hat sie ein Händchen.